Auflösung

ÜBER DAS VERSCHWINDEN

Karsten Drohsel / Maik Pechtold

Die Arbeit AUFLÖSUNG öffnet die Galerie für die Dauer der Ausstellung in den öffentlichen Raum und stellt die Thesen dort unter Beweis, wo ein jeder in das System eingreifen kann. Der Grundriss der gastgebenden Galerie wird nach außen gespiegelt und mit Kreide im Maßstab 1:1 auf die Straße übertragen. Dadurch wird die räumliche Situation des Innen aus ihrem eigentlichen Bestimmungszusammenhang herausgelöst und im öffentlichen Raum zur Diskussion gestellt. Viel mehr noch wird die zu Grunde liegende Idee des architektonischen Raumes abstrahiert und der Öffentlichkeit und somit der Möglichkeit ihrer Einflussnahme ausgesetzt. Der Partizipationsprozess kann auf unterschiedliche, vor allem aber nicht vorhersehbare, Art geschehen. Jede kreative und destruktive Veränderung durch Passanten ist erdenklich und ausdrücklich erlaubt. „Hier stellt sich die Frage nach der Bestimmung der Architektur [...]. Nun, glücklicherweise oder unglücklicherweise wird einem bewußt, daß diese programmierten Zielsetzungen immer gerade von jenen mißbraucht werden, für die sie bestimmt sind: von den Benützern, von dieser Masse, deren originelle oder perverse Reaktionen niemals in ein Projekt eingeplant werden können. [...] Hier kommt es immer zum Duell, und die Reaktion ist unvorhersehbar. Es ist die Reaktion eines vollwertigen Akteurs, den man zwar oft geneigt ist, als passives Element einzubeziehen, der aber nicht unbedingt die Spielregeln oder die Gesetze des Dialogs befolgt. Die Massen bemächtigen sich des Architektur‐Objektes auf ihre Weise, und wenn der Architekt sich nicht bereits selbst vom Programm abgewendet hat, werden die Nutzer es übernehmen, dem Objekt den unvorhersehbaren Zweck, an dem es ihm mangelt, zuzuweisen.“5 So steht letztlich nicht das Ausgesetztsein im Vordergrund, sondern die dadurch erst ermöglichte Veränderung der Kreidezeichnung und somit der Teilhabe an gesellschaftlichen Prozessen.

Interessant wird sein, ob und wie sich die Öffentlichkeit der Zeichnung bemächtigt, die stellvertretend für eine architektonische Idee steht, also ein abstrahiertes Bild unserer Gesellschaft darstellen soll. Am Ende dieser Performance‐Woche wird vermutlich nicht viel mehr übrig bleiben, als hie und da ein Strich oder Punkt, der an den Grundriss erinnert. Über die Zeit wird die Arbeit verblassen. Was aber bleibt ist die Erkenntnis über die Nähe oder Ferne der Architektur gegenüber ihren Benutzern.

5 Baudrillard, Jean: Architektur: Wahrheit oder Radikalität, Droschl, Graz‐Wien, 1999, S.16f.